Suggestion der leisen Töne
von Hannes Sonntag
Ja, so oder ähnlich muss es geklungen haben im Umkreis der Schubert, Schumann, Mendelssohn und Brahms – in den Ohren und für die Ohren jener Freunde, Kollegen, Förderer und Bewunderer, die in seelenverwandter Nähe um die Gestalten der großen Meister kreisten. Ihnen allen ging es um das Verstehen, das Erfühlen von Musik, die natürlich und direkt zu ihnen sprach. Um emotionalen Austausch. Und es waren auch Gemeinschaft und Freundschaft mit im Spiel.
Das Klavierspiel Natalia Ehwalds entführt in die Welt jener Zirkel, denen Kultur nicht Lippenbekenntnis, sondern ureigenste Lebensform war. Dieses Spiel ist so bemerkenswert uneitel, zielt nicht auf Verallgemeinerung und Verwertbarkeit, lässt sich auf keinerlei Effekte ein, schlägt nirgendwo virtuosen Schaum. Man versteht auf einmal die gewissermaßen moralische Empörung Clara Schumanns angesichts des oftmals selbstdarstellerischen Gehabes eines Liszt und seines Jünger-Kreises. Was nicht etwa die Abwesenheit oder Ablehnung von Brillanz bedeutet, wohl aber die absolute Unterordnung des Technisch-Materiellen unter das sanfte Diktat des Geistigen – und gleichzeitig einen Fokus auf den vielfältig abgestuften Klang, die zwei- und dreifachen pianissimi, auf das innere Singen und die stille Betroffenheit angesichts des in Worten nicht Fassbaren.
Natalia Ehwald spielt Klavier wie man es heute nur ganz selten (vielleicht aber auch allmählich wieder) hört. Gott Dank sind die Welten der Klaviermusik jedoch so überbordend voll wunderbarer und gänzlich unterschiedlicher Literatur, dass in vielen unterschiedlichen pianistischen „Tempeln gebetet“ werden und das artistische Hochseil in friedlicher Koexistenz neben der Innerlichkeit des romantischen Bekenntisses existieren kann.
Gerne würde man länger schwärmen…
von Hannes Sonntag
Es gibt sie, diese Klänge mit der berühmten ‚Träne im Knopfloch‘, diese Augenblicke, in denen jenseits der Musik alles andere seine Bedeutung verliert. Selten sind sie, zugegeben, und gerade deshalb so kostbar. Nach vielen Jahren und Jahrzehnten des Hörens könnte ich mühelos aufzählen, welche Konzerte es waren, die mir bis heute jederzeit abrufbar im Sinn sind: der ein oder andere Klavierabend von Rubinstein, Askenase und Horowitz, die Aufführungen der Bruckner-Sinfonien unter Günter Wand, die Violinkonzerte der Beethoven und Brahms mit dem Geiger Henryk Szeryng….
Dass es jetzt auch ein junger Klarinettist in diese meine ganz persönliche Extra-Kategorie geschafft hat, empfinde ich als außerordentliches Ereignis. Denn natürlich hatte ich ein hervorragendes Konzert erwartet, aber eben nicht dieses Konzert.
Olivier Patey im Fürstensaal von Schloss Schieder war überwältigend: so völlig deckungsgleich mit den Klarinettensonaten des späten Brahms, so unerhört präsent in seiner gleichermaßen bescheidenen wie über sich selbst hinaus wachsenden Interpreten-Persönlichkeit und – so atemberaubend schön im Ton.
Wie macht einer das, so darf man fragen, der zusammen mit seinem exzellenten Klavierpartner Martijn Willers nach einer morgendlichen Probe bei elendem Winterwetter mit dem Auto von Rotterdam aufbricht, zu vorgerückter Nachmittagsstunde am Konzertort eintrifft, sich ein paar Minuten einspielt und dann: spielt? Aber die Frage ist rhetorisch, die Antwort einfach: es ist nicht nur ein glänzender Bühnenprofi, es ist ein Künstler, der seine Musik zutiefst in sich trägt, eine Musik, die unveräußerbar ihm allein gehört.
Ein Bösendorfer für Michail Lifits
Flügel, wenn es denn Konzertflügel sind, können nicht fliegen. Wohl aber, wenn sie zuvor ‚eingeflogen‘ werden, einen Interpreten und sein Auditorium beflügeln.
So geschehen beim ersten Konzert der neuen Saison 2012/13 auf Schloss Schieder. Dank eines großmütigen Sponsorings vom Haus der Klaviere Gottschling stand dem Pianisten Michail Lifits für Mozart, Rachmaninow und Schumann ein wundervoller Bösendorfer-Konzertflügel zur Verfügung. Wir glauben, jedermann im Publikum empfand, wie vollendet der edle, so kultivierte Klang dieses Traditionsinstruments aus Wien in die Intimität des Fürstensaals passte.
Besonders der Wahlwiener Mozart hätte sich unter den Händen von Michail Lifits kaum Besseres wünschen können. Die ebenso beredten wie glasklaren Mozart-Darbietungen des jungen Ausnahmepianisten berührten in ihrer gleichsam klangzeichnerischen Qualität zutiefst. Jeder einzelne Ton konnte hier seine am Ideal des Streicherklangs orientierte Stimme entfalten.
Michail Lifits‘ Schumann-Spiel offenbarte den wahrhaften Künstler vielleicht noch umfassender: selten haben wir die Kreislerianer so emotional, innig und mit jedem organischen, atmenden Zeitgefühl erlebt wie an diesem Abend. Große Vergleichsnamen – Rubinstein, Kempff – lagen hier buchstäblich in der Luft. Das war ein Klavierspiel meilenweit entfernt von den zahllosen kalt-digitalen Varianten, die man heute überall anzutreffen gewohnt ist. Es versteht sich von selbst, dass der Bösendorfer diesem Spektrum warmer Innerlichkeit geradezu ideal entsprach. Ja, und selbst die Fülle und Attacke von Rachmaninows Corelli-Variationen waren beim ‚Duo Bösendorfer-Lifits‘ bestens aufgehoben.
Wir wünschen Michail Lifits die erfolgreiche Fortsetzung seiner exzellenten Karriere! Und uns selbst, dass der Bösendorfer-Flügel intensiv genug an Schloss Schieder denken möge, um möglichst bald – mit dem Schwung beherzter Förderer – wieder an den Ort eines so beseelten Musizierens zurückzukehren.