Zwischen Jubellaune und Wehmut

Die Schlosskonzerte holen ihr zehnjähriges Jubiläum nach – Hannes Sonntag und Krisztián Palágyi

Nicht mit den sprichwörtlichen Pauken, Trompeten und roten Teppichen, sondern mit einem Konzertabend besonderer Prägung feierten die Schlosskonzerte das zehnjährige Jubiläum ihres Bestehens. Was für den Frühsommer 2020 als musikalisches Fest mit vielen Künstlerfreunden gedacht war, konnte seinerzeit den Umständen folgend nicht realisiert werden. Am 22. August dieses Jahres endlich war der Zeitpunkt gekommen, in schmalerer Form diese ungewöhnliche Konzertreihe zu würdigen.

Hannes Sonntag – Pianist, Autor, Moderator und Künstlerischer Leiter – skizzierte mit einem profunden Rückblick die Geschichte eines Musikprojekts, dem es in kurzer Zeit gelang, sich mit der Präsentation internationaler Künstler in der Region zu etablieren. Seine brillante Mixtur aus Geschichte, Anekdotischem und Klaviermusik bedeutete nicht zuletzt auch die Verbeugung vor einem Publikum, das sich von Anfang an für Konzeption und Spielart der Konzertreihe begeistert hatte.

Der Pianist – mit enger persönlicher Beziehung zu Chopin – spielte Werke des polnischen Meisters und bewies einmal mehr eine ganz besondere poetische Klangkunst, die zutiefst berührte. Und in manchem Hörer mag die Frage mitgeschwungen haben, ob man auf Erlebnisse wie dieses wird verzichten müssen, wenn es nicht gelingen sollte, Schloss und Fürstensaal bei dem bevorstehenden Pächterwechsel in gleicher Funktion zu erhalten.

     

Nach langer Pause im französischen Park eröffnete der junge ungarische Akkordeonist Krisztián Palágyi den zweiten Teil des Abends. Jenseits aller lokalen Aspekte befreite sich hier ein ebenso virtuoses wie passioniertes Spiel von jedem außermusikalischen Gedanken. Astor Piazzolla war der Komponisten-Star, der in Palágyis Interpretationen zu schierer Musiklust wurde.

Beide Künstler dankten gemeinsam den standing ovations eines wunderbaren Publikums! Dass Bettina Nolting, organisatorische Leiterin der Schlosskonzerte Schieder, Wein überreichend auf die Bühne kam, ließ den Applaus noch einmal anschwellen. Schließlich stand sie stellvertretend für ihr tolles Team, das über zehn Jahre die Existenz der Konzertreihe garantierte.

     

Americans in Paris – in Schieder

‚American in Paris’ – so hieß ihr ambitioniertes Programm. Aber das hätten auch sie selbst sein können:  Fedor Roudine, Rudolf Vanks und Hayrapet Arakelyan, die drei jungen Künstler des Fratres Trio.

In der so ungewöhnlichen Kombination von Klavier, Violine und Saxophon wirbelten sie mal leichtfüßig, mal leidenschaftlich durch jene Gefilde der Musik, in denen sich Klassik und Jazz kreativ und freundschaftlich die Hände reichen. Das Publikum genoss begeistert diesen Exkurs in eine Welt voll guter Laune und musikalischer Turbulenz.

Fratres Trio 3 zugeschnitten

Expressives Feuer!

Es ist ein offenes Geheimnis, dass – sehr anders als in bildender Kunst und Literatur – die Musik des frühen 20. Jahrhunderts noch immer nicht so selbstverständlich rezipiert wird, wie ihr das zweifellos zukäme. Das ist umso erstaunlicher, als hier ja von einer Zeit die Rede ist, die teils bereits mehr als 100 Jahren zurückliegt! Und grade die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts stehen in allen künstlerischen Sparten für eine Explosion, wie sie selbst im Verlauf der so reichen europäischen Kulturgeschichte nur selten stattfand. Auch in der Musik sucht eine solche Dichte an stilistischer Vielfalt und existenzieller Intensität ihresgleichen.

Über die Ursachen für die häufig nur begrenzte Liebe vieler Hörer und Fachleute sowie die rein numerische Unterrepräsentation im Konzertwesen kann hier nicht spekuliert werden. Ein Faktor jedoch – und vielleicht der wichtigste – dürfte sein, dass diese sogenannte „neue Musik“ unbedingt fordernd ist: eben jenen Anspruch an absolute geistige und emotinale Hingabe stellt, die so unendlich weit von unserer heute gängigen und primär auf Unterhaltung zielenden Oberflächen-Wahrnehmung entfernt ist.

Daher ist es umso großartiger, einem Pianisten wie Oskar Jezior zu begegnen, der unter schonungslosem Einsatz all seiner enormen virtuosen und mentalen Kräfte eine Ausdrucks-Totale herzustellen wusste, der man sich nicht entziehen konnte. Auf einmal wurden die Rhyzome jenes extremen Ausdrucksanspruch deutlich, der einem Großteil der Werke dieser Epoche eigen sind und das begründen, was wir unvollkommen mit dem Begriff  ‚Zeitgeist‘ umschreiben.

Danke, Oskar Jezior – das war nicht nur ein grandioser Klavierabend (und allein das wäre ja schon so viel), sondern auch ein Stück lebendigster Kulturvergegenwärtigung. Und Danke auch dem Schiederaner Publikum, das dieser ergreifenden Klangwelt eine solch tief empfundene Begeisterung entgegenbrachte!