Identitäten – Hannes Sonntags ‚Doppel-Ton‘
von Hannes Sonntag
Sind Bühnenakteur und künstlerische Leitung einer Veranstaltung identisch – wie hier gut sichtbar der Fall und beim besten Willen nicht zu verheimlichen – verbietet sich a priori eine Wertung in eigener Sache. Es mag aber erlaubt sein, einige wenige Gedanken in Sachen ‚Doppelbegabung‘ zu äußern, deren Fokus jenseits allen Selbstlobs liegt.
Blickt man in die Kulturgeschichte, so zeigt sich, dass es immer wieder mal diese merkwürdige Überschneidung künstlerischer Sparten in Gestalt einer einzigen Person gegeben hat. Malerei plus Dichtung, Dichtung plus Musik – diese und weitere Kombinationen sind uns nicht gänzlich fremd.
Dabei sind keineswegs in jedem Falle eine Gleichzeitigkeit in der subjektiven Entwicklung oder die Gleichrangigkeit der jeweiligen Talente vorgegeben. Greift man hoch hinaus, darf sicherlich konstatiert werden, dass, etwa im Bereich der Musik, die Fähigkeiten Wagners als Komponist höher zu veranschlagen sind als die des Textdichters. Oder etwa Goethes Multitalent im Literarischen gipfelte, nicht aber in seiner Eigenschaft als Zeichner oder Naturwissenschaftler. Umgekehrt wäre vermutlich kaum zu entscheiden, ob der Maler oder der Erfinder Leonardo zu präferieren ist, der Literat oder der Zeichner Cocteau. Und es sind nicht wenige Beispiele, die man den genannten hinzufügen könnte.
Aus meiner eigenen, völlig subjektiven Betrachtung der Dinge hätte im Zweifelsfall immer der eigenständig schöpferische Aspekt Vorrang vor dem nachschaffenden, interpretierenden. Etwas Neues ‚in die Welt zu setzen‘, denke ich, rangiert vor dem Deutungs-Vermögen bereits existenter Werke. Doch um ein wenig die Verwirrung zu genießen: Furtwängler beispielsweise war fraglos als Dirigent bedeutender denn als Komponist, als den er selbst sich vorrangig betrachtete – allerdings bewegen wir uns hier letztendlich im selben Medium, der Musik. Man sieht, die Sache ist durchaus nicht ganz so leicht.
Ein Gedanke jedoch erscheint mit zentral: es gibt in meiner Wahrnehmung so etwas wie die Existenz von Talent vor seiner Emanation in eine bestimmte Richtung. Gewissermaßen ein Potential an sich, dessen Kraft in einer einzige Wurzel ausschlagen, sich aber auch in einem Rhizom zweier oder mehrerer Stränge manifestieren kann.
Insofern sollten wir uns – wo immer betroffen oder beobachtend oder urteilend – jener gern zitierten ‚Vielfalt in der Einheit‘ erfreuen, die, von wem oder woher auch immer, das Leben so bunt und spannend macht.